© Norbert Bayer
1999-2023

Instagram

Fotos: Marlene Burz

«Rucki Zucki Rosinante»

von Agnes Böhmelt

You name it: Rosinante, so heißt das Pferd aus «Don Quijote», dem Roman von Miguel de Cervantes, dem wir den schönen Ausdruck «gegen Windmühlen kämpfen» verdanken; «Rucki Zucki» ist ein Faschingshit aus den 1970er-Jahren. Ich selbst bin zwar wie der Künstler in Franken geboren und aufgewachsen, wo man «Fasching» sagt und auf gar keinen Fall «Karneval», allerdings erst Ende der 1970er und damit zu spät für dieses kulturelle Artefakt, aber man findet es mittlerweile natürlich online. Wenn man dieses Terrain berennt, rate ich allein dazu, besser «Rosinante» vom Fredl Fesl zu hören.

(Wer jetzt denkt, Norbert Bayer sei selbst schon «vertrocknet zum saftlosen Klappergerüst», wie es in dem der Ausstellung beigefügten Text über den unglücklichen Ritter heißt, irrt indes; uns trennen nur wenige Jahre.)

Dem klapprigen Gaul ebenso wie den mutmaßlich ermatteten Tänzer:innen aus der Kindheit, die einst im zotigen Rein-raus-Rhythmus des Faschingslieds ausgelassen gestampft haben, hat er mit seiner fetten, überdimensionierten Nackenrolle ein Angebot unterlegt: Macht mal Pause. Allzu gemütlich wird es dabei aber nicht, denn der Überzug der Nackenrolle besteht aus Bergen von frischen Plastiktüten, wie man sie in Berlin noch immer in fast jedem Späti erhält. Zu Ringen zerschnitten und anschließend zu langen Bahnen ineinander verknotet, wurden diese mit einer hölzernen Nadel verhäkelt.

Dem verschwiegenen Begehren in Häkel- und anderen Nadelrhythmen hatte bereits Georg Groddeck, ein Arzt und Psychoanalytiker aus Baden-Baden, 1923 in seinem «Buch vom Es» eine gewisse Präsenz eingeräumt. Man raunt außerdem, dass er es gewesen sei, der mit diesem «Es» dem ungleich berühmteren Sigmund Freud einen Baustein für dessen Strukturmodell der menschlichen Psyche geliefert habe, das sich ja bekanntlich aus den auseinander hervorgehenden und stetig miteinander ringenden Instanzen «Es», «Ich» und «Über-Ich» zusammensetzt. Dieser Transfer war folgenreich, denn das «Es» lässt sich nie vollständig beherrschen oder überwältigen.

Das gilt auch für die überdimensionale, gestreifte Nackenrolle für Rosinante. Eines ihrer Enden (oder sollte ich sagen: ihre Eichel?) prunkt mit einem veritablen Pferdeschweif (oder sollte ich sagen …?): Es ist aufgebläht (oder angeschwollen) mittels stabiler Chenille-Plastikwolle und mit ihm zusammen droht die Nackenrolle, die etwa 6 Meter lang und 45 cm dick ist, schwergewichtig und mit raumverdrängender Kraft die Enge des Galeriefensters zu sprengen.

Ihr anderes Ende erscheint hingegen zunächst amorpher: ein natürlich ebenfalls gehäkeltes rosa Gebilde, einem Klumpen oder Knoten gleich, in dessen Zentrum eine merkwürdige Öffnung klafft. Die Kastrationsangst, deren Beschreibung oder vielmehr Erfindung ja ebenfalls auf den alten Plagiatisten Freud zurückgeht, ist in diesem speziellen Gewebe aus Chenille auf vielfältige Weise enthüllt und präsent, und zwar nicht nur als schmählicher Rest oder als Wunde am Endes eines imaginären Penis- oder Phallusschafts. Keine die beschämende Kastration gnädig verdeckenden Haare gibt es hier, kein gütiges Flecht- oder Webwerk verhüllt das Malheur.

Meine erste Assoziation am Eröffnungsabend der Ausstellung war tatsächlich die einer «Vagina dentata», der «bezahnten Vagina» – und auch diesen Mythos hat in Europa wer bekannt gemacht? Sie wurde bei Freud und in anderen, vor allem männlichen, Texten zum schaurig-schönen Emblem weiblicher Macht und männlichen Ängsten, wobei letztere nie so weit weg lagen von Kastrationslust oder zumindest dem Begehren danach. Die «Vagina dentata» hat mittlerweile unter der Bezeichnung «Rape-aXe» ebenfalls eine materielle Gestalt angenommen: Es handelt sich dabei um eine von Sonette Ehlers entwickelte Variante des Femidoms, die der hand- oder vielleicht eher bissfesten Abwehr von Vergewaltigungen dienen soll.

Bayers wie ein Unendlichkeitszeichen in sich verschlungene Nackenrolle wird dadurch mit ihren widersprüchlichen und doch aufeinander bezogenen Enden fast so etwas wie eine hermaphroditische oder gar queere Parodie der anfangs thematisierten stumpfen Rein-raus- bzw. «Rucki Zucki»-Taktung: Der Rhythmus der*s hier tanzenden Rosinante ist ein anderer, schrägerer.